
Um eines vorweg zu nehmen: Auch Pal Csernai hatte seine Verdienste. Nach einer sechsjährigen Durststrecke führte er als Trainer eine hungrige Mannschaft zu zwei Deutschen Meisterschaften, einem Pokalsieg und in ein Europacupfinale. Doch nun, im Mai 1983, schien die Erfolgsserie beendet, der HSV dominierte das zweite Jahr in Folge die Liga.
Csernai aber wirkte überheblich, beinahe arrogant. Die Spieler ließen sich von dem eitlen Ungarn nichts mehr sagen, Kapitän Paul Breitner arbeitete hinter den Kulissen gegen ihn, die Südkurve schrie nach Udo Lattek. Und auch ich, als treuer Anhänger des Vereins, machte mir so meine Gedanken.
Meine Liebe zum FC Bayern war immer schon so groß gewesen, dass ich bis heute nicht geheiratet habe. Eines Abends saß ich im Feinkostlokal „Käfer“ mit Inhaber Michi Käfer und dem Sohn des damaligen Bayern-Präsidenten Willi O. Hoffmann zusammen. Pal Csernai musste weg, da waren wir uns einig. Nach einigen Weißbieren kam uns die Idee einer besonderen Botschaft: Ich sollte eine Torte in Sargform anfertigen, die wir dem Trainer auf der Pressekonferenz nach dem nächsten Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern überreichen würden. Am kommenden Samstag stellte ich mich also in die Backstube. Ich formte aus Baumkuchenteig einen unterarmgroßen Sarg, übergoss ihn mit holzfarbener Schokolade, verzierte ihn sogar mit Nägeln aus Zuckerguss – und schrieb auf die eine Seite „Meisterschaft ade“, auf die andere „Das Palsystem ist am Ende“.
Bevor ich aus dem Haus ging, zog ich mir einen schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte an, ich wollte aussehen wie ein wahrhaftiger Totengräber. Doch vor dem Stadion verließ mich plötzlich der Mut. Gingen wir womöglich zu weit? Ich ließ den süßen Sarg erst einmal im Kofferraum meines Wagens und setzte mich auf die Ehrentribüne. Das Spiel verlief schleppend. Sollte ich diese Aktion wirklich durchziehen? Nach dem Gegentreffer in der 75. Minute durch Hans-Peter Briegel war ich jedoch fest entschlossen. Fast wäre ich noch während des Spiels mit dem Kuchen zur Trainerbank marschiert – allein die Vorstellung, wie wütend Uli Hoeneß sein würde, konnte mich davon abhalten. Also wartete ich in den Katakomben des Olympiastadions auf den Schlusspfiff.
Das Spiel ging mit 0:1 verloren, ein gellendes Pfeifkonzert hagelte auf Csernai und die Spieler nieder. Der Trainer musste unter Polizeischutz in den Presseraum geleitet werden und nahm dort vor den Mikrofonen Platz. Ich zögerte noch einen Moment, holte tief Luft, dann schritt ich entschlossen auf das Podium zu. Mit ernster Miene knallte ich Csernai den Sarg vor die Nase. Er sah mich an. Der damalige Geschäftsführer Walter Fembeck sprang auf – und pfefferte den Kuchen in den Mülleimer. Die Pressekonferenz war gesprengt. Die Journalisten interessierten sich nur noch für den zerkrümelten Sarg, und zu Wochenbeginn war in allen Boulevardzeitungen davon zu lesen. Uli Hoeneß war kaum noch zu bremsen und strafte mich mit Stadionverbot. Erst nach meinem öffentlichen Entschuldigungsbrief an Pal Csernai, der wenige Tage nach der Niederlage gegen Kaiserslautern gehen musste, wurde mir von Präsident Hoffmann offiziell verziehen. Ein zweites Mal würde ich einen solchen Sarg nicht wieder backen. Egal, wie schlecht mein FC Bayern auch spielt.
Protokoll: Marc Baumann
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