Warum es weh tut, Bayern-Fan zu sein 11FREUNDE

Er kommt mir entgegen, am helllichten Tag, aber ich nehme ihn erst wahr, als er mich anspricht. Er trgt einen Bundeswehrparka, fr den er viel zu alt ist, die Flagge abgetrennt, sein Haar ist strhnig und schon grau meliert, in der Hand hlt er eine Flasche Sternburg doch trotz allem ist er es, der

Er kommt mir ent­gegen, am hell­lichten Tag, aber ich nehme ihn erst wahr, als er mich anspricht. Er trägt einen Bun­des­wehr­parka, für den er viel zu alt ist, die Flagge abge­trennt, sein Haar ist strähnig und schon grau meliert, in der Hand hält er eine Fla­sche Stern­burg – doch trotz allem ist er es, der mich anraunzt: Voll schlechter Geschmack, ey!“ Für einen Moment kapiere ich über­haupt nicht, dass er mich meint, ich ver­stehe nicht, wie er dazu kommt, aber sonst ist nie­mand da. Dann fällt es mir wieder ein: Ich war Fuß­ball­spielen, ich trage ein Trikot des FC Bayern Mün­chen, ich bin, zumin­dest hier in Berlin, Frei­wild. Im nächsten Moment ist er auch schon vorbei, ich höre ihn noch anstoßen mit sich selbst. Prost, dem Bayern-Arsch­loch haben wir es aber gezeigt.

Der FC Bayern Mün­chen hat rund 180000 Mit­glieder und mehr als 220.000 Anhänger, die in über 3000 offi­zi­ellen Fan­klubs orga­ni­siert sind, dazu Mil­lionen, die sich in Mar­ke­ting-Umfragen zu ihm bekennen; aber in den Kreisen und an den Orten, wo ich mich bewege und arbeite, stehe ich als Bay­ernfan weit­ge­hend alleine da. Bemer­kens­wer­ter­weise gelte ich trotzdem als Oppor­tu­nist. Dabei ist noch frag­lich, ob es mich über­haupt gibt, denn beson­ders kluge und wit­zige Zeit­ge­nossen haben her­aus­ge­funden: Der FC Bayern hat über­haupt keine Fans. Fans näm­lich, so diese For­scher, zeich­neten sich aus­nahmslos dadurch aus, dass sie mit ihrem Verein leiden. Bayern-Anhänger hin­gegen hätten ange­sichts der Erfolgs­ge­schichte ihres Klubs ja keine Ahnung, was das über­haupt bedeute, wollten nur den Erfolg abgreifen, ohne Emo­tionen zu inves­tieren. Ich kann nur für mich spre­chen, für meine Kreise und die Orte, an denen ich mich bewege und arbeite, aber dort steht fest: Nichts könnte fal­scher sein, Bay­ern­fans leiden – die ganze Zeit.

Bayern-Fan zu sein ist gott­geben wie die abso­lute Mehr­heit der CSU

Es begann am 26.Mai 1999. Andy und ich waren beide 21 Jahre alt, seit einem guten halben Jahr in Berlin und hatten erst in Ansätzen kapiert, was das für uns und unsere Liebe zum FC Bayern bedeu­tete. Wobei zu dieser Liebe im Jahr 1999 noch zu sagen wäre: Son­der­lich lei­den­schaft­lich war sie damals noch nicht. Wir waren Bay­ern­fans, das ja, aber was hieß das schon? Wo wir her­kommen, aus einer kleinen Stadt 90 Kilo­meter süd­west­lich von Mün­chen, fiel unsere Wahl voll­kommen selbst­ver­ständ­lich auf den großen FCB, sobald wir begannen, uns für Fuß­ball zu inter­es­sieren. Auf wen auch sonst? Auf den TSV 1860, der irgendwo in der Bay­ern­liga umher­düm­pelte? Es mag auch damals noch ver­ein­zelt Kinder gegeben haben, die fami­li­en­be­dingt in eine solche Situa­tion gekommen sind, uns wäre der bloße Gedanke absurd vor­ge­kommen, da hätten wir ja gleich die Spiele der SpVgg Kauf­beuren besu­chen können, für die wir in der F‑Jugend auf­liefen. Fan der Bayern zu sein war so normal, so gott­ge­geben und vor allem so unab­än­der­lich wie die abso­lute Mehr­heit der CSU. Ob einem das nun gefiel oder nicht.

Am 26.Mai 1999, dem Tag des Cham­pions-League-Finales des FC Bayern gegen Man­chester United in Bar­ce­lona, wurde end­gültig offen­kundig, dass sich die Zeiten für uns geän­dert hatten. Wenige Tage vor dem Spiel hatten wir noch absolut keine Ahnung, wo wir das Finale halb­wegs wür­de­voll und dem Ereignis ange­messen anschauen könnten. Public Vie­wing gab es damals noch nicht bezie­hungs­weise bezeich­nete der Begriff öffent­liche Toten­wa­chen in den USA – was von den Über­tra­gungen der Bay­ern­spiele aller­dings nicht so weit ent­fernt war. Wenn es über­haupt welche gab. Eine Kultur des gemein­samen Fuß­ball­schauens hatten wir zumin­dest noch nicht aus­ge­macht. Wir kannten nur die Mary-Jane-Bar auf der Kas­ta­ni­en­allee, die bei fünf Besu­chern aus allen Nähten platzte und eine ganze Reihe Eck­kneipen, in denen man zwar ab und an eine Bayern-Über­tra­gung durch­setzen konnte, etwa, weil man zu zweit bereits die Mehr­heit der Gäste stellte, wo es aller­dings auch gleich meh­rere Wirte geschafft hatten, die neu gewon­nene Kund­schaft durch Zur­schau­stel­lung bit­terer Res­sen­ti­ments – sei es gegen Bayern im Spe­zi­ellen oder Aus­länder im All­ge­meinen – gleich wieder zu ver­graulen. Keine Optionen für die avi­sierte Stern­stunde der Ver­eins­ge­schichte

Die Ret­tung kam schließ­lich in Form einer Bar­frau daher, für die ich mich eher pflicht­schuldig ein wenig inter­es­sierte, haupt­säch­lich des­wegen, weil sie eine Frau war und in einer Bar um die Ecke arbei­tete, wes­wegen ich sie öfter zu Gesicht bekam als sonst ein weib­li­ches Wesen. Übri­gens war sie, aus heu­tiger Sicht betrachtet, eher ein Mäd­chen, damals aber unbe­dingt eine Frau“. Wie sonst hätte ich ein Mann sein können?

Ihr klagten wir am Tresen von unserer Misere, und inner­halb von Sekunden schien sich alles zum Guten zu wenden. Sie war näm­lich ein­ge­laden worden, von einem echten Münchner Bay­ernfan, der das Spiel bei sich im Hin­terhof mit­tels Beamer auf Lein­wand zeigen wollte. Da könnten wir ja mit­kommen. Beamer, Lein­wand, Hin­terhof – wir hätten miss­trau­isch werden sollen, es war zu schön, um wahr zu sein, schließ­lich schrieben wir das Jahr 1999, und Beamer waren sozu­sagen noch gar nicht erfunden worden. Wir wurden aber nicht miss­trau­isch, wir hörten nur: Beamer, Lein­wand, Hin­terhof – so hatten wir uns Berlin vor­ge­stellt, so stellten wir uns die Zukunft vor. Dann ging alles den Bach runter.

Bayern-Fans leiden sehr wohl

Als wir am Spieltag bei dem Typen ankamen, erfuhren wir von ihm als Erstes, dass die Bar­frau ihn ange­rufen habe. Die kommt net.“ Er sagte das in einem Ton, der nahe­legte, dass es seiner Mei­nung nach dann ja wohl unsinnig sei, wenn wir blieben, was wir zwar wahr­nahmen, aber igno­rieren mussten, schließ­lich würde es in einer halben Stunde los­gehen, und so viel hatten inzwi­schen selbst wir kapiert, dass man so kurz vor dem Spiel auf keinen Fall noch einmal den Standort wech­seln darf, wenn man nicht die erste Halb­zeit ver­passen und am Ende in einer Döner­bude enden will. Wir blieben also, er nahm es hin – schließ­lich hatten wir Bier dabei – und führte uns in seine Woh­nung, wo sich bereits fünf Typen mit Münchner Akzent um einen kleinen Fern­seher scharten.

Wie groß das Gerät wirk­lich war, kann ich heute nicht mehr sagen, in meiner Erin­ne­rung ist es winzig, im Ver­gleich zu der von uns ima­gi­nierten Lein­wand quasi unsichtbar. Hat net klappt“, war die lako­ni­sche Ant­wort, als Andy sich mit auf­kom­mender Panik nach den Hin­terhof-Plänen erkun­digte.

Wenn ich heute sage, dass Bay­ern­fans mehr leiden als alle anderen und dass ich das an diesem Tag erfuhr, dann meine ich gar nicht nur das Spiel, son­dern vor allem die Typen, mit denen wir es sahen. Unser Gast­geber war zwar Bay­ernfan, seine Kum­pels aller­dings kei­nes­wegs. Sie waren gegen Bayern. Es war ihnen nicht nur egal, sie waren nicht nur nicht für Bayern, sie wollten, dass Bayern ver­liert. Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob sie tat­säch­lich alle­samt Fans des TSV 1860 Mün­chen waren oder ob ich mir das nur im Nach­hinein so zurecht­ge­legt habe, weil es meine ein­zige Erklä­rung dafür war, dass diese Typen meinen Verein so hassten. Die Stim­mung wäh­rend des Spiels war auf jeden Fall aus­bau­fähig, wir kamen zu dritt gegen ihre miese Laune nicht an.

Als es dann pas­sierte, als die Nach­spiel­zeit anbrach und Sol­skjaer und She­ringham kamen, war ich zunächst wie in Trance. Eine Art Tin­nitus legte sich auf meine Ohren, irgendwo dahinter brüllten sich die Sechzger die Seele aus dem Leib. Das Erste, was ich nach sehr langer Zeit wieder wahr­nahm, war die Frage des Gast­ge­bers:
Schnaps?“ Andy und ich ant­wor­teten gar nicht, wir nickten nur. Er kam mit drei Saft­glä­sern zurück, rand­voll mit Ouzo, für seine guten Freunde. Wir tranken sie aus, ohne dar­über nach­zu­denken, dann gingen wir. Irgend­wann am nächsten Tag kam ich wieder zu mir. In meiner Woh­nung. Immerhin.

Den Gast­geber haben wir nie wie­der­ge­sehen, seine Kum­pels hin­gegen sehr wohl, in den unter­schied­lichsten Gestalten, als Fans der unter­schied­lichsten Ver­eine, die alle ein ein­ziger gemein­samer Nenner eint: Sie sind gegen Bayern Mün­chen. Ich kenne diese Typen nicht per­sön­lich, sie mich aber offenbar gut genug, um mir meine Wochen­enden zu ver­sauen. Natür­lich würde man gerne behaupten, dass einem das alles egal ist, dass es ein­fach abperlt, was kümmert’s die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt, aber das gilt nur für den Ein­zel­fall, nicht für die zer­mür­bende, stän­dige Wie­der­ho­lung. So gute Laune hat kein Mensch. Gewinnt Bayern, tor­pe­dieren sie meine Freude mit der Bemer­kung, dass das ja eh klar war“, setzt es eine Nie­der­lage, reiben sie mir noch zusätz­lich zum Ärger über das Spiel ihre Häme ins Gesicht.
Gra­fites Zau­bertor, Hitzl­sper­gers Vol­ley­schuss, vor allem aber Bre­mens 3:1 in Mün­chen, mit dem Werder die Meis­ter­schaft 2004 gewann: Ich habe gelitten, unter den Spielen und unter den Begleit­um­ständen, die aus einem ver­lo­renen Spiel gefühlte sieben machten, Hun­de­nie­der­lagen, wenn man so will. Gleich­zeitig ver­wan­delte sich meine früher eher ach­sel­zu­ckende Zunei­gung in lei­den­schaft­liche Liebe zum großen FCB.

Stehe ich auf der dunklen Seite der Macht?

Wäh­rend ich im Jahr 2000 nach Bal­lacks Eigentor noch aus einer der beson­ders beschis­senen Kneipen hatte rennen müssen, um eini­ger­maßen unge­fährdet meine Freude über den völlig uner­war­teten Last-Minute-Gewinn der Meis­ter­schaft auf den Bür­ger­steig schreien zu können, schrien 2004 andere mir ins Gesicht. Ich hatte inzwi­schen meine Stamm­kneipe gefunden, leider war gemein­sames Fuß­ball­schauen aber mitt­ler­weile so populär geworden, dass ich wegen Über­fül­lung draußen stand mit meinem Bay­ern­schal. Die meisten Men­schen um mich herum trugen keine Werder-Rauten und hatten vor Jah­res­frist noch gar nicht gewusst, dass sie schon immer Bre­men­fans gewesen waren, und doch wurden auch sie Meister, nahm Bremen an diesem Nach­mittag mit all seinen neuen Wahl­bür­gern die Aus­maße von Mexiko City an. Weil Werder gegen Bayern gewonnen hatte. Gegen diesen Erfolgs­verein mit seinen Erfolgs­fans. Gegen mich. Da freuten sie sich, die Mexi­kaner.

Sie haben ihren Hornby gelesen, sie können bei jeder anderen Gele­gen­heit die ehernen Weis­heiten des Fuß­balls her­un­ter­beten, und doch ver­su­chen sie immer wieder, mich zu bekehren oder zumin­dest darauf hin­zu­weisen, dass ich auf der dunklen Seite der Macht stehe. Wenn es sein muss am hell­lichten Tag, auf offener Straße, im Parka, mit einem Bier in der Hand. Prost.

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